Contributed by Jens Hoffmann.

Ulrich Rasche macht Büchners Drama in Frankfurt zu einem Revolutionsdrama.

„Dantons Tod“, ein purer Genuss als Maschinenrotationswerk im Operngroßformat. Die Choreographie geht durch Mark und Bein. Eine grossartige Choreographie. Zermürbend. Berührend. Oft alles zugleich. Wow.

Der Regisseur Ulrich Rasche, geb. 1969, wohnhaft in den Paul-Lincke Höfen in Berlin, tritt in die Fußstapfen von Schleef.

 

Er schafft Theater-Zeremonien, in denen sich Körper, Sprache, Musik und Rhythmus ritualhaft verbinden. So sehr man sich dagegen sträuben mag – man kommt dem Sog schwerlich aus. Auch jetzt wieder, bei „Danton“. Man ist beeindruckt nach diesem fast zweieinhalbstündigen Theater der Revolution. Aber mehr noch ist man künstlerisch und existenziell durchgeschüttelt, aufgerüttelt, beeindruckt. Wie von einer höheren Gewalt.

Rasche hat kolossale schwarze Walzen in den Bühnenraum schaffen lassen.

 

Walzen, die sich unablässig drehen. Auf ihnen: die Schauspieler in permanenter Laufbewegung. Nur wer mitläuft, stürzt nicht ab. Ewiges Vorwärts. Die Akteure sind zur Absicherung an Seilen befestigt, dadurch wirken sie wie lebende Marionetten an Strängen. Passend zu Dantons Erkenntnis: „Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen, nichts wir selbst.“Das Stück spielt in der Schreckenszeit nach der Französischen Revolution, als der Tötungsmechanismus sich verselbständigt und das Volk hungert. Robespierre, der „Blutmessias“, will die Sache durchziehen bis zum bitteren Ende. Aber Danton ist des Mordens müde.  Musikalisch angetrieben und gefühlsbombastisch verstärkt wird der theatrale Dauerlauf von zwei Cellisten links und zwei Gitarristen rechts am Rand. Dazu gibt es auf der hinteren Walze drei dunkel gewandete Sänger, die genauso vorwärts marschieren wie die Schauspieler, während sie in höchsten Tenortönen summen, singen oder Choräle anstimmen.

Den Soundteppich hat der amerikanische Komponist Ari Benjamin Meyers gewoben, der in der Kunstszene gerade sehr gefragt ist, weil er mit Raum, Dauer, Wiederholungen experimentiert und Musik als performatives Medium begreift. Sie wiegen einen in Trance, hypnotisieren, elektrisieren, und sie sind auch penetrant.

„Dantons Tod“ als monströs-mechanistisches Wortoratorium. Alle Revolutionen dieser Welt, auch die jüngst wieder gescheiterten, scheinen darin auf, das ewige Zerschellen menschlicher Utopie an politischer Doktrin. An Fanatismus und Fatalismus. Für Individualität, Intimität, psychologische Einfühlung oder die Auslotung von Beziehungen ist in Rasches Werkhalle kaum Platz. Es obwaltet stark und beklemmend der Geschichtspessimismus, das große Ganze, das zähe Mühlwerk aller Politik. Einige Schauspieler, allen voran Torben Kessler als glutvoller Danton und der tänzelnde Nico Holonics als Robespierre, gewinnen trotzdem Prototypen-Profil.

Zwischendurch droht der Abend, sich in seiner Monotonie zu verfangen. Aber er fängt sich – und die Zuschauer – immer wieder und steigert sich zu einer todesorgiastischen, dunkel poetischen Schlusschor-Offensive. „Nieder mit Danton“, skandiert das Volk. Luciles herzbewegender Abschied von ihrem Camille, die baumelnden Leichen am Strick, die weitermarschierende Masse. So endet die Inszenierung als schmerzvolles Requiem auf die Revolution. Im Dunkeln klingt die E-Gitarre nach.

Der Abend war fantastisch. Danke, Uli.