Mal wieder eine Ausstellung die mich sehr interessiert:
Johann König, Berlin freut sich mit Etwas Abwesendes, dessen Anwesenheit erwartet wurde eine weitere umfassende Einzelausstellung von Alicja Kwade zu präsentieren. Sowohl im Hauptraum, also auch in der Südgalerie und dem kleinen Ausstellungsraum zeigt Alicja neue Arbeiten rund um die Frage nach der Struktur von Realität, nach dem Wesen der Dinge.
Wenn es um die Beschreibung von Zeit geht, greifen wir auf Bilder aus ganz anderen Bereichen zurück: verrinnen, verstreichen, vergehen, ablaufen. Für ihre Vermessung gibt es die verschiedensten formalen Konstruktionen – manchmal ist die Zeit in Ziffern organisiert, manchmal im Kreis angelegt, manchmal in Streifen zerteilt, etwa auf dem Globus.
Alicja Kwades Blick auf die großen, grundlegenden Ordnungssysteme ist beharrlich fragend. Wenn sie sich mit unserer universellen Übereinkunft darüber beschäftigt, was Zeit ist, was Wert ist, was Wirklichkeit ist, dann scheint sie selbst sich außerhalb dieser Vereinbarung zu befinden.
Sie konfrontiert die eine, scheinbar feststehende Struktur mit einem anderen System und macht sie dadurch unlesbar. Etwa, wenn sie kreisende Uhrzeiger linear an einer Wand entlang verlaufen lässt, so dass sich das Vergehen der Zeit tatsächlich abgehen lässt. Oder wenn sich das Zerspringen einer Glasscheibe auf dem Boden gleichzeitig bereits zugetragen hat und erst noch bevorsteht, wie in der Videoinstallation Die Zukunft des Vergangenen betrachtend, 2015. Ihre filmische Herangehensweise ist dabei nicht auf das bewegte Bild angewiesen, Alicja Kwade arbeitet gewissermaßen auch als Bildhauerin filmisch, wenn sie den Objekten verschiedene Stadien eines größeren Ablaufs gibt.
Bei ihren künstlerischen Befragungen der Realität werden Ergebnisse pulverisiert. Es ist einigermaßen klar, dass die Autopsie einer Lampe, die in ihre Einzelteile zerlegt, granuliert und nach Bestandteilen getrennt in Gläser gefüllt wird, ohne Erkenntnis darüber bleiben wird, was das Wesen von Licht sei. Doch erschafft sie eine andere, neue Erzählung über die Dinge, die wir zu wissen glauben oder als Tatsache zu hinterfragen aufgehört haben.
Alicja Kwade beschäftigt sich mit dem, was übrig bleibt. Griechischen Marmor, das Material für die Ewigkeit, bearbeitet sie gerade nicht im künstlerischen Sinne wie seit drei Jahrtausenden. Haben die Marmorblöcke (Etwas Abwesendes, dessen Anwesenheit erwartet wurde, 2015) zwar durchaus anfangs menschliche Proportionen und stellen sich dem Betrachter quasi auf Augenhöhe entgegen, so setzt Alicja Kwade das Denkmal doch bestenfalls dem Atom.
„Die Zusammensetzung macht den Moment“, sagt die Künstlerin. Es gibt viele Möglichkeiten, zu erzählen, woraus wir gemacht sind. Die Narrativität des Goldes aus einer Hinterlassenschaft etwa, das eingeschmolzen und in den Kreislauf zurückgegeben wird. Auch das nur ein weiteres System, das in ein anderes übergeht, übergangslos wechselt zwischen größter Privatheit und maximaler Anonymität. Mit ihrer Arbeit Relikt und Bedarf, 2015 hält Alicja Kwade diesen Verwertungskreislauf nur kurz an, zu stoppen ist er nicht. Denn auch als Kunstwerk wird die Frage des Wertes nur in die nächste Sphäre übersetzt.
Alicja Kwade (geboren 1979 in Kattowitz, Polen) lebt und arbeitet in Berlin, wo sie von 1999 bis 2005 an der Universität der Künste studierte. Im März 2015 eröffnet sie eine Einzelausstellung in der Kunsthalle Nürnberg. Im selben Jahr folgen institutionelle Einzelpräsentationen in der Kunsthalle Schirn in Frankfurt/Main und im Haus am Waldsee in Berlin sowie anlässlich der Verleihung des Hectorpreises 2015 in der Kunsthalle Mannheim. 2014 zeigte sie Einzelausstellungen im Kunstmuseum St. Gallen und im Haus Esters in Krefeld. Darüber hinaus waren ihr Werke in zahlreichen Gruppenausstellungen vertreten, wie 2014 im Bass Museum of Art, Miami Beach oder in der Kunsthalle Wien, 2013 im Museum of Contemporary Art Detroit oder in einer vom Public Art Fund organisierten Ausstellung im City Hall Park in New York City und 2012 im CCA Wattis Institute, San Francisco. Ihr Arbeiten befinden sich in internationalen privaten und öffentlichen Sammlungen.