Was essen wir 2030? Szenarien dazu von Sebastian Frank (Photo), Nils Henkel, Andreas Rieger, Daniel Schmidthaler und Tobias Bätz:
Sebastian Frank – Küchenchef im Horváth, Berlin
„Die Verfettung unserer Gesellschaft durch Billigfleisch, mit allen gesundheitlichen und ökologischen Konsequenzen, ist eines der größten Ernährungsprobleme des 21. Jahrhunderts.“
Gericht 1 – Idee für Fine Dining: „Unsere vegetarische Lebercreme aus Kräuterseitlingen geht zurück auf die Idee, den angebackenen Rand eines Gemüseauflaufs nachzuahmen. Wir haben hierzu Kräuterseitlinge mit Hühnereiweiß glatt gemixt und in Butter ausgebraten, zu knusprigen „Hack“. Vom Ergebnis sehr angetan, haben wir die Masse weiter zum gebratenem Pilzhaschee entwickelt und über eine Texturveränderung in eine Lebercreme ähnliche Textur gebracht. Hinzukam eine Alkoholreduktion und Butter als Texturgeber.“
Gericht 2 – Idee für hausgemachtes Alltagsprodukt: „Den veganen Leberkäs habe ich gemacht, weil ich von einem Fleischhersteller aus Österreich (Neuburger) gehört habe, dass dieser seine Produkte auf Basis von Kräuterseitlingen herstellt. Dies wollte ich auch probieren, jedoch mit dem Bindemittel Agar, statt Hühnereiweiß. Die Textur wird durch Pflanzenöl erreicht, wobei ein Teil des Öls als Holzkohleöl verarbeitet wird. Hauptgewürz ist geröstete Selleriesaat und Ingwersirup.“
Warum Kräuterseitlinge: „Kräuterseitlinge bilden eine eigene Gruppe unter den organischen Stoffen „Funghi“, brauchen also keine Photosynthese, ernähren sich von organisch zerfallenden Material wie Holz oder Stroh. Jedoch kann auch gesammelter Kaffeesatz mit dem Myzel vermengt werden und darauf Pilze gezogen werden. Hier wäre der Zukunftsansatz, damit für das Züchten von Pilzen auf Holz oder Stroh verzichten zu können, sprich keine Ressourcen abgebaut werden müssten. Weiter gibt der Pilz ernährungstechnisch dem Körper Fettsäuren, Ballaststoffe und Vitamin B12. Ballaststoffe fehlen bei Fleisch komplett und B12 kann man normal nur mit Fleisch zu sich nehmen. Außerdem kann man Pilze schnell, auf geringen Raum und relativ unkompliziert züchten. Ist das Myzel erst mal zB. im Kaffeesatz kann dieser immer weiterverwendet werden.“
Warum die Lebercreme: „Natürlich in erster Linie deswegen, weil es uns das Ergebnis selber überrascht hat und wir das unseren Gästen nicht vorenthalten wollten. Das Verarbeiten von vermeintlich einfachen Produkten zu etwas „besonderem“ steht bei uns im Mittelpunkt, um den Leuten zu zeigen, was eigentlich alles jenseits von „Rinderfilet“ geht, wenn man sich nur ein bisschen damit beschäftigt. Keiner soll sich jetzt extra einen Thermomix anschaffen und Pilze schreddern, sondern das nächste Mal den Pilz einfach mehr ins Zentrum setzen, diesen als eigenständiges Produkt würdigen und ihm eine gleichwertige Rolle zukommen lassen, wie zB. einem Stück Fleisch, dann wird irgendwo vielleicht ein „Rinderfilet“ weniger gekauft. Das gleiche gilt natürlich für alle anderen Zutaten, die nicht tierischen Ursprunges sind. Rinderfilet steht natürlich hier nur stellv. für die klassischen Fleischteile 1.Klasse laut Handel.“
Nils Henkel – Küchenchef Restaurant Schwarzenstein, Geisenheim
„Ich gehe davon aus, dass wir uns wesentlich mehr vegetarisch, im Ansatz sogar vegan ernähren müssen. Mein Gemüsemenü war neben der spannenden Aufgabe sich auf Gemüse zu beschränken auch immer ein politisches Statement gegen unseren wahnwitzigen Fleischkonsum und die damit verbundene Massentierhaltung. Meiner Meinung nach müsste die Massentierhaltung abgeschafft werden. Wenn man sich auf ein bis zweimal Fleischkonsum pro Woche beschränkewn würde, kann man sich sehr wohl gute Qualitäten von ausgesuchten Produzenten leisten. aber ohne konsequente Verbote von Seiten der Politik wird das nicht passieren.“
Ansatz: Soja & Algen
„Als ich vor 10 Jahren mit meiner vegetarischen Gemüseküche begann, waren für mich die typischen Ersatzstoffe der vegetarischen Küche kein Thema. Mir ging es in erster Linie immer ums Gemüse, gern auch mit Milchprodukten oder Ei im Kontext. Tofu fand ich immer furchtbar bis ich auf die Idee kam, einen Seidentofu aus selbst hergestellter Sojamilch aus Sojabohnen deutscher Herkunft zu produzieren. Es ist ein Seidentofu mit zarter Konsistenz, aber nicht mit Meerwasser-Enzymen sondern mit Iota gebunden. Das verbessert das Handling wesentlich. Die Kombination mit Schwarzwaldmiso, Küstenkräutern und Salicorne aus der Produktion der Geisenheimer Hochschule schafft ein jodiges Geschmacksbild, bei dem Gäste manchmal denken, sie hätten vielleicht doch Fisch auf dem Teller.“
Warum vegan bzw. vegetarisch? „Grundsätzlich verwende ich in meinen vegetarischen Gerichten gern tierische Lebensmittel wie Butter, Milchprodukte und Eier. Trotzdem geraten die Hälfte der neuen Gerichte fast automatisch vegan, weil es von der Zusammenstellung Sinn macht. Da zB. für die Produktion von einem Kilo Butter 24kg CO2 anfallen, mache ich mir zunehmend auch Gedanken darüber, wo Butter wirklich Sinne macht und wo darauf verzichtet werden kann.“
Tobias Bätz Küchenchef Restaurant Alexander Herrmann by Tobias Bätz
„Unser Szenario für 2030 ist, dass durch hohe Steuern auf CO² und die Notwendigkeit zu dessen drastischer Reduzierung die Restaurants in Zukunft umso mehr auf kurze Transportwege achten müssen, da Flugware immer teurer wird. Arbeitsabläufe müssen optimiert werden, um ressourcensparend zu arbeiten. Auch Fleisch wird hoch versteuert, so rückt eine vegetarische, zuckerarme Ernährung in den Vordergrund, die aber trotzdem spannend und abwechslungsreich sein muss.“
„Uns war sofort klar, dass wir Produkte vom Tropenhaus Klein Eden, einer Forschungseinrichtung in unserer Region, verwenden werden. Aus Umweltsicht ist das Konzept genial, die Abwärme der benachbarten Glasindustrie zu nutzen, um tropische Pflanzen anzubauen, mit dem Ziel, den Co² Ausstoß von Flugzeug-Transporten zu vermeiden. Hier wachsen Papayas, Guaven, Maracujas, Sternfrüchte, Limetten, Jackfruits und sogar Kaffee. Zusätzlich werden Fische mit Hilfe eines geschlossenen Kreislaufs in einer Aquaponikanlage gezüchtet sowie auch das Wasser gefiltert. Heißt: Das Fischwasser läuft auf Pflanzenbeete, in denen Kurkuma, Ingwer und Galgant wachsen. Diese Pflanzen nehmen die Nährstoffe aus dem Wasser auf, filtern es und es kommt zurück in die Fischbecken. Als Fisch wird der schwarze Pacu eingesetzt. Pacus ernähren sich überwiegend von Pflanzenresten, sie verwerten also die Pflanzenreste, die im Tropenhaus anfallen. Das komplette Tropenhaus versorgt sich selbst zu 100% aus Regenwasser und kommt ab 2020 komplett ohne Fremdstrom aus.“
„Neben der Diskussion um Co² Vermeidung gibt es noch andere Themen, die die Ernährung bis zum Jahr 2030 beeinflussen. Ein Trend, den wir immer mehr beobachten, ist, dass sich Menschen immer gesundheitsbewusster ernähren wollen. Das Thema Superfood ist mit Lebensmitteln wie Goji, Chia und Macha immer wieder Thema. Bei uns gibt es ein heimisches Superfood, das hier locker mithalten kann: Den Kürbis. Er hat vergleichsweise wenig Kalorien, aber unglaublich viele wertvolle Inhaltsstoffe wie Vitamine, vor allem Betacarotine, Kalium und Magnesium.“
Daniel Schmidthaler – Küchenchef Klassenzimmer, Alte Schule Fürstenhagen
„Bäume so lange es sie noch gibt, Nüsse und Schweineblut“
Idee zum Gericht: „Der Gedanke ist, dass die Rodung von Wäldern überall auf der Welt für den Sojaanbau weiter stark voranschreitet, um Tierfutter für die Massentierhaltung zur Nahrungsmittelversorgung – vor allem in den Wohlstandsgesellschaften und sich entwickelnden Schwellenländern – zu gewinnen. Dadurch wird es eine immer extremer auseinanderdriftende 2-Klassen-Gesellschaft geben: Die einen erkennen den Schaden und ernähren sich folglich vegetarisch-vegan und die anderen verleugnen den Zusammenhang oder fühlen sich nicht verantwortlich und konsumieren immer mehr Billigfleisch.“
Andreas Rieger – Ehemaliger Küchenchef Einsunternull, Berlin
Zutaten der Zukunft – Wasserlinsen und Algen
Gericht: „Die Kapsel“
Produkt:
Wasserlinsen, Algen: schnell wachsend, nährstoffreich, proteinreichste Pflanzen der Welt, einfach zu
reproduzieren, vielseitig verwendbar, kein Abfall, geringer Energieaufwand
Inspiration: Post-Apokalyptische Versorgung mit Nährstoffen in Krisengebieten/in Notsituationen/Outdoor/Alltag
Komponenten: Kapsel mit Stangen auf Basis von AQUAFABA, angereichert mit Wasserlinsen, Chlorella und Spirulina. 12 ID bezogene/oder aufgrund Nährstoffen benötigte Zutaten zum „aromatisieren“ der Stangen.
„Die Kapsel soll wiederverwendbar sein, ein Leihprodukt, welches mit den Sticks und Aromen befüllt werden kann. Bei Rückgabe wird diese gereinigt und ggf. wieder befüllt. In Krisengebieten können die bis zu zwölf Aromen mit benötigten Nährstoffen ergänzt werden, am Automaten könnte es eine personalisierte Befüllung via ID oder Direktwahl geben, Selbstfüllung wäre auch denkbar. Robuste, lange Haltbarkeit (mehrere Jahre/Jahrzehnte), die
einzelnen Kammern könnten in der Zukunft durch Technologie versiegelt und unter Vakuum gesetzt werden oder andere Haltbarkeitsdaten verlängernden Techniken könnten zum Einsatz kommen. Die Sticks sind gefriergetrocknet (bei richtiger Lagerung bis zu 25 Jahre haltbar)“
Umsetzung: „Einen Prototyp würde ich es nicht ganz nennen, da sämtliche ausschlaggebende Technik für die gedachte Variante fehlen. Die Kapsel dient eher als optischer Platzhalter zur Visualisierung wie eine Kapsel aussehen könnte, um die Gedanken zu beflügeln. Dabei sind nur recycelte Materialien angedacht, wie z.B. die fünf Hölzer, die ich verwendet
habe, da sie vorwiegend in (alten) Möbeln vorkommen. (Buche, Eiche, Walnuss, Birne und Mahagoni). Alle Kammern sollen unabhängig voneinander geöffnet werden können, um die anderen nicht zu beeinflussen. Hexagon-Konstruktion um einen wabenartigen, gesammelten Transport stabil auszuführen, vorrangig vegan bestückt, damit keine Ethnie ausgegrenzt wird. Es ist nicht als dauerhafte Ernährung gedacht, deckt aber alle vorrangig benötigten Nährstoffe ab.“
Stay tuned.
Anm.: Der Future Tank wurde von Sternefresser ausgerichtet.