Sommelier Justin Leone
Auf der ProWein2016 habe ich ein Tasting von Alentejo Weinen mit dem Kanadier Justin Leone mitgemacht.
Er ist eine Ausnahmeerscheinung unter den Sommeliers in Deutschland: Der ehemalige Musiker arbeitet bewusst gegen Konventionen. Seit Frühjahr 2011 arbeitet er im Münchener Zwei-Sterne-Restaurant „Tantris“ und ist immer für eine Überraschung gut.
Wie kommt ein Kanadier ausgerechnet als Sommelier nach München in das traditionsreiche „Tantris“?
Als ich in Chicago als Sommelier im Drei-Sterne-Restaurant „Alinea“ gearbeitet habe, da war Felix Eichbauer, der Betreiber des „Tantris“, bei uns zu Gast. Ich habe ihn bedient, so haben wir uns kennen gelernt. Ich wollte schon immer nach Europa und hatte 2010 die Gelegenheit, als Sommelier in London zu arbeiten. Dort war ich aber schnell frustriert, das Fass zum Überlaufen brachte ein älterer Herr, der mich belehren wollte, dass es in Deutschland seit 1954 keinen guten Weißwein mehr gegeben habe. Da habe ich eine SOS-Botschaft an Eichbauer geschickt: Bitte hol mich hier raus. Als ich seine Antwort las, wollte ich es erst gar nicht glauben: Paula Bosch geht. Das war unfassbar und meine Chance.
Was wussten Sie von Deutschland?
Nicht allzu viel. Aber ich habe mich gleich verliebt in das Land, auch wenn ich die Sprache nicht kannte. Felix Eichbauer hat mich mitgenommen auf eine kulinarische Rundreise, wir haben einige Spitzenköche besucht wie Nils Henkel („Gourmetrestaurant Lerbach“), Klaus Erfort („Gästehaus Klaus Erfort“) und Tim Raue. Ich war wahnsinnig überrascht, das hatte ich nicht erwartet. Kulinarisch ist Deutschland ein Gigant, das ist in vielen Ländern kaum bekannt. In den USA weiß das niemand. Das Niveau der deutschen Spitzenküche ist für mich weltweit am besten. In einem Land wie Deutschland zu arbeiten, das war die Motivation für mich, richtig Gas zu geben.
War es schwierig, die Nachfolge von Paula Bosch anzutreten?
Wenn ich damals gewusst hätte, welche Bedeutung Paula Bosch als herausragende Sommelière in Deutschland hat, dann hätte ich mehr Angst gehabt. Es war ein Vorteil, dass ich mich nicht so gut ausgekannt habe. Als Deutscher hätte ich als Nachfolger keine Chance gehabt. Bosch hat über 20 Jahre im „Tantris“ gearbeitet und das Sommelierwesen geprägt. Das wusste auch Felix Eichbauer, der dachte, dass man einem verrückten Kanadier mehr nachsieht als einem deutschen Sommelier. Ich war das Kontrastprogramm zu Paula Bosch: Mit ihr verglichen zu werden, ist für mich kein Problem, mein Stil und mein Geschmack sind ganz anders.
Was machen Sie anders?
Ich habe großen Respekt vor Paula Bosch. Als Frau hatte sie es am Anfang richtig schwer. Es gab Gäste, die wollten sich nicht von einer Frau beraten lassen. Dagegen habe ich es doch leicht. Ich sehe mich als Dienstleister, der den Gästen einen perfekten Abend bereiten muss. Ich muss herausfinden, was sie wollen, was ihnen schmeckt. Wenn jemand lieber eine Bierbegleitung möchte oder einen Cocktail anstatt Wein, dann ist das kein Problem. Das wäre früher unvorstellbar gewesen im „Tantris“. Ich bin ein lockerer Typ, das nimmt manchem Gast die Angst, sich auf etwas Neues einzulassen. Und bei mir gehört ein bisschen Show dazu, ich habe schließlich als Musiker auf der Bühne gestanden. Ich bin auch dafür zuständig, dass es nicht zu steif zugeht im „Tantris“.
Haben Sie auch Gäste, mit denen Sie nicht zurechtkommen?
Das kommt selten vor. Die meisten Gäste, die ins „Tantris“ kommen, sind gut bewandert, was Wein angeht. Aber es gibt Leute, die finden nichts aus den 1500 Positionen, die wir anbieten. Die sind stinksauer, weil wir keinen frisch gefüllten Rheingau Riesling Kabinett von 2012 anbieten. Da stoße auch ich an Grenzen. Aber ich nehme Kritik und jede Herausforderung an: Ich schenke auch einen Grünen Veltliner Jahrgang 1986 aus, wenn ich finde, dass dieser Wein zum Essen passt. Wir Sommeliers dürfen nicht sagen, die Leute sind so blöd, die verstehen nichts. Alles fängt bei uns an: Wir müssen die Gäste so begeistern, dass sie diesen Abend nie vergessen.
Was unterscheidet die Arbeit des Sommeliers in den USA und in Europa?
Viele Sommeliers in den USA haben ein breiteres Wissen als mancher europäische Kollege. Sie können auch einen guten Cocktail mixen und eine Zigarre servieren, sie kennen sich außerdem mit Bier aus. Der Durst nach Unbekanntem ist viel ausgeprägter und das macht einen guten Sommelier aus.
Der Status und die Wertschätzung des Sommeliers sind von Land zu Land sehr unterschiedlich.
Ja, das ist auffällig, in Skandinavien sind Sommeliers wie Mads Kleppe aus dem „Noma“ in Kopenhagen Superstars. Sie arbeiten auf Augenhöhe mit dem Küchenchef. Kollegen aus Österreich beklagen sich, dass sie zu Servicekräften degradiert würden und langweilige Karten verwalten müssten. Als ich in London gearbeitet habe, wurde ich mitleidig gefragt, ob ich denn nichts aus meinem Leben machen wollte. Wenn man in Deutschland arbeitet, steht man als Sommelier eher auf der sonnigen Seite. Ich habe die Freiheiten, die ich brauche, um interessante Weine zu finden.
Was macht eine richtig gute Weinkarte aus?
Sie muss die Balance aus Klassikern und unbekannten, außergewöhnlichen Weinen halten. Meiner Meinung nach orientieren sich viele Weinkarten zu sehr an Prestigeweinen aus Anbaugebieten wie Bordeaux. Ich versuche lieber etwas im Hinterhof der Weinwelt zu finden, in Malaga, Kroatien oder Ungarn. Wir Sommeliers sollten avantgardistisch denken und unseren Blick auf das Unerwartete und Besondere richten. Dann ist Wein auch nicht spießig und langweilig.
Heute bieten viele Restaurants Weinbegleitungen zu den Menüs an. Geht das zu Lasten von besonderen Flaschen?
Nein, ich finde das gut. Eine Weinbegleitung ist für mich immer die Chance, auch einen abgefahrenen Wein zu präsentieren. Unsere Stammgäste nehmen kaum Weinbegleitung zum Essen, die vertrauen auf die Klassiker. Amerikanische Gäste sind da offener, die bestellen häufiger ein Menü mit Weinbegleitung.
Was trinken Sie am liebsten?
Ich bin ein situativer Trinker. In der Oper darf es gerne Champagner sein. Ich bin ein großer Cocktailfan. Wenn die Weinauswahl irgendwo nicht gut ist, dann bestelle ich Bier oder Sake. Schlimme Erfahrungen macht man nur, wenn man nicht offen ist für Neues.
Quelle Michelin.
Annex: Das Mediterranean Tasting -Wines of Aletejo – hat riesigen Spass gemacht.
Zum Alentejo hier: