Die Côte d’Azur ist das obskure Objekt der Begierde unserer Foodreise..

Text: Jens Hoffmann

Photo: Annamaria Veszeli

Wow, St. Tropez, Cannes, Antibes, Nizza und Monaco.

Das klingt poetisch und romantisch.

Kaum ein Küstenstreifen wie die azurblaue Küste hat so viele Sternchen aus Kunst, Mode, Musik und Film angezogen.

Im Licht der Côte d’Azur strahlt das Seidene, also die Kunst, das Schöne und Bewundernswerte.

Frúher galt es als unschick, verwerflich und hedonistisch unter der Sonne der Côte zu bräunen.

Die Pariser Bourgeoisie bevorzugte im Sommer die französische Atlantikküste, schöne Hotels gab es dort auch.

Dort war es zwar kälter, aber man lief nicht Gefahr, seine elegante Blässe zu verlieren.

An die Côte d’Azur fuhr man im Winter und spielte Tennis, ging ins Casino mit den englischen Aristokrat:innen, die hierher vor der Kälte geflüchtet waren.

Das änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg in den 1920er-Jahren, sodann entdeckte man azurfarbenes Wasser, Pinienhaine und das unendliche Blau des Himmels.

Man lud die Pariser Freunde ein, Pablo Picasso, Dorothy Parker, Gertrude Stein, Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald.

Die Sommersaison an der Côte d’Azur und das Lebenskonzept vom Hedonismus ward erfunden.

Endlich!

Etwa zur gleichen Zeit schipperte „Coco“ Chanel auf der Yacht ihres Liebhabers, dem Herzog von Westminster, die Côte d’Azur entlang.

Braun gebrannt kehrte sie nach Paris zurück und löste damit eine Moderevolution aus.

Sodann galt gebräunte Haut als Inbegriff von Glanz, was man zuvor als ordinär verbuchte.

Arbeit war Verrat am Proletariat, das Landvolk sollte in der Sonne die harte Arbeit verrichten.

Die Matrosen und Fischer, denen Chanel begegnet war, inspirierten sie aber dazu, den Sommer Look zu kreieren: weite Hosen und gestreifte Hemden.

Das, was vorher als vulgär empfunden wurde, galt plötzlich als elegant.

Heute noch verkörpert dies den klassischen Riviera-Look und steht für zeitlose Eleganz.

Dass auch Modeschmuck und künstliche Perlen elegant sein können, ist Coco Chanel zu verdanken.

Sie erklärte, dass Schmuck eine Frau schmücken sollte, anstatt zu demonstrieren, wie vermögend sie sei.

Bei ihrer Vorliebe für Schmuck war Chanel übrigens möglicherweise von Sara Murphy inspiriert, die ihre Perlenketten auch tagsüber am Strand La Garoupe am Cap d’Antibes trug, weil sie überzeugt war, dass das Côte-d’Azur-Licht diesen noch stärkeren Glanz verleihen würde.

Heute befindet sich an selbigem Strand das legendäre Strandlokal „Keller Plage“.

Während draußen die Rolls-Royce-, Bentley- und Maserati-Limousinen auf dem Parkplatz zu finden sind, drängen sich auf den dicht an dicht gestellten Liegestühlen all die, die einen Strandbesuch als gesellschaftliches Ereignis betrachten.

Auf den Tischen türmen sich die Meeresfrüchte-Etageren, der Champagner und Rosé fließt.

Die Männer tragen Bermudashorts und Borsalinos.

Es gibt eine weitere Form des Statussymbols: chirurgisch modellierte Gesichter.

Die Ästhetik der großen Lippen, großen Augen, hohen Wangenknochen ist hier allgegenwärtig.

Modetechnisch gehört dazu bei den Frauen noch das obligatorische Designer:innen-Hippiekleid mit Strohhut und Sonnenbrille dazu.

Biensure.

Es ist der Look des globalen Luxustourismus.

Golf spielt man trotzdem noch.

Auch die Beispiele der plastischen Chirurgie, die man am Strand La Garoupe oder anderswo an der Côte d’Azur vorfindet, haben oftmals etwas Exzessives.

Aber genau darin liegt der Spaß, exakt das macht das Ganze so unterhaltsam.

Denn perfekte Zurückhaltung und Kontrolliertheit wirken eben sehr schnell sehr langweilig.

Modezaren greifen immer wieder gern in die Kiste des vermeintlich Verbotenen, also der Stilelemente, die als zu billig, zu groß, zu verschnörkelt, zu auffällig gelten und dadurch eben als peinlich oder vulgär wahrgenommen werden.

Durch den Kontrast zu klassischer Eleganz entsteht etwas Neues – etwas, was unsere Aufmerksamkeit weckt, unsere Sinne kitzelt und uns die Tatsache genießen lässt, dass wir am Leben sind.

Die Côte d’Azur verkörpert dieses Wechselspiel.

An ihren Strandpromenaden findet sich genau die interessante Mischung aus Lässigkeit in Form von Leinenhosen und Kaschmirpullovern auf der einen und Bling und Sportwagen auf der anderen Seite.

An der Côte d’Azur findet man genau die Mischung aus Boheme, Hedonismus und Luxus.

Die wunderbaren Kunstbeispiele der klassischen Moderne und all die Geschichten von F. Scott Fitzgerald, Françoise Sagan, James Baldwin, Aldous Huxley findet man hier.

Natúrlich auch die Superyachten der Oligarchen und andere Abarten des exzessiven Blings.

Diese Gegensätze können nur hier mühelos nebeneinander existieren.

La vie est belle.

Je t’aime la France.