Aus der Reihe „Kleine Fluchten“ – Fjordnorwegen

Von Robin Hartmann

Eine Wanderreise in Fjordnorwegen ist ein einmaliges Erlebnis. Unterwegs besteigt man zwei Facebook-Felsen, beobachtet majestätische Lachse und ist dabei immer ganz nah an der Natur. Und dann gibt es da noch ein waschechtes Spuk-Hotel…

Irgendwo auf der Ryfylke-Panoramastraße, mitten im norwegischen Nirgendwo, kommt plötzlich bei der Fahrt durch wunderschöne Fjorde und vorbei an tiefgrünen Wäldern ein Gedanke auf, oder eher ein Gefühl.

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Rausch, ein absolutes Hochgefühl von Glück, gepaart mit immer wieder ungläubigem Staunen über diese geradezu unwirkliche Erhabenheit und Majestätik der norwegischen Landschaft – und mittendrin dann doch wieder jener Gedanke, der einem fast zu pathetisch erscheint, um ihn laut auszusprechen: Wenn man sich an der Schönheit eines Landes betrinken könnte, dann hätte man während einer Norwegen-Reise unter Garantie die gesamte Zeit über einen soliden Vollrausch.

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Unser Abenteuer beginnt in Stavanger, einem eher verschlafenen Nest, dass man 1969 dazu verdonnerte, fortan die Erdölhauptstadt Norwegens zu sein. Als solche steht sie auch heute noch hinter der großen Schwester Bergen zurück, muss sich aber keinesfalls verstecken: Auf der Holmegatten reiht sich eine Bar an die andere, bunt die Häuserfronten und auch die Menschen, die an ihren Laptops sitzen und in der Nachmittagssonne ihren Kaffee schlürfen. Weit über die Landesgrenzen bekannt ist mittlerweile auch das „New Art Festival“ in Stavanger, in dessen Zuge immer wieder Graffiti-Künstler aus aller Welt Häuser in der Stadt mit ihren Werken verschönern. In Gamle Stavanger, der Altstadt, geht es dann wieder etwas ruhiger zu, die farbenfrohen Holzhäuser des ehemaligen Arbeiterbezirks sind heute heiß begehrte Immobilien, auch, weil in diesem Teil der Stadt keine Autos fahren dürfen. Im Sola Strand Hotel direkt in den Dünen am Meer klingt dann der erste Tag bei einem hervorragenden Essen aus, bevor es am nächsten Tag weitergeht.

Schon wartet ein echtes Naturereignis am frühen Morgen auf die wachen Füße der Wanderer, denn es soll auf den Predigerstuhl gehen, weltbekannt auch als Preikestolen, der trotz des geradezu inflationären Fotomotiv-Missbrauchs in den sozialen Medien in seiner Erhabenheit immer noch jedem Besucher den Atem rauben wird. Nur, wer wirklich dagewesen ist, wird die Magie verstehen, die von diesem über 600 Meter hohen Felsen ausgeht, der wie von einer höheren Macht genauso gewollt fast senkrecht in den Lyse-Fjord hinabfällt. Die Wanderung hinauf ein Erlebnis in vielfacher Hinsicht, die Landschaft norwegisch spektakulär, die unzähligen Mitwanderer fröhlich und laut, teilweise wird es ziemlich eng, man kommt sich manchmal fast vor wie in der Schlange vor einer beliebten Diskothek. Spätestens dann auf dem Hochplateau nahe des Preikstolen atemloses Staunen, wenn sich der Horizont öffnet und der Lyse-Fjord vor den ungläubigen Augen förmlich aus der Landschaft explodiert.

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Es gibt nicht viele Orte, die einem den Kopf völlig von allen störenden Gedanken und Hintergrundgeräuschen freiwaschen, aber der Preikestolen gehört definitiv dazu. An den Rand des schwindelerregenden Abgrunds wagen sich nur die Mutigsten im Stehen, meistens ist es eher eine kriechende und krabbelnde Annäherung, dann ein kurzer Blick nach unten, bevor sich der Magen zusammenzieht. Dann schon lieber noch etwas weiter hochklettern, weg von den selfie-geilen Massen, den Ausblick genießen, vollständig in sich ruhen – wie oft erlaubt einem der Alltag das heutzutage noch? Die insgesamt vier Stunden Auf- und Abstieg vergehen jedenfalls wie im Flug und waren doch recht einfach zu bewältigen – kein Wunder also, dass jährlich etwa 300 000 Menschen den Preikestolen besuchen.

Dann die besagte Ryfylke-Landschaftsroute, eine von insgesamt 18 Panoramastraßen in Norwegen dieser Art, und schon schmilzt eine fünfstündige Autofahrt zu einem gefühlten Kurzausflug zusammen: Hinter jeder Straßenbiegung verstecken sich neue „Aaaahs“ und „Ooohs“, die Kameras klicken quasi ununterbrochen, jedes kleine Detail der Schönheit der Natur wird ausgiebig kommentiert. In dem kleinen Ort Sand am Suldalslågen -Fluss dann eine weitere unvergessliche Begegnung, als wilde Lachse den reissenden Strom hochschwimmen und sich mit archaischer Kraft einen Wasserfall hinauf katapultieren. Die Sonne brennt dazu zur Mittagszeit vom Himmel, und ein Bad in den eiskalten Wassern ist eine herrliche Abkühlung vor der Weiterfahrt. Auf dem Weg zu dem beeindruckenden Ullensvang-Hotel noch ein Fotostop am urgewaltigen Låtefoss -Wasserfall – Norwegen, denkt man, wo einzigartige Naturschönheiten wie diese scheinbar einfach auf der Straße liegen.  

Im Ullensvang Hotel schaut man frühmorgens bewegt auf die unverrückbare Erhabenheit des Hardangerfjords und des Folgefonna-Gletschers, während man vor einem weiteren berauschenden Wandertag noch einmal die Angel in das kristallklare Wasser des „Hotel-Sees“ auswirft. Ein wenig mentale Stärke sammeln, heute geht es auf den Trolltunga, einen weiteren der von uns so getauften „Facebook-Felsen“, eine brachialer Marsch von etwa 12 Stunden, auch für geübte Wanderer eine Herausforderung. Und so schraubt sich der erste Wander-Kilometer auch erst einmal quasi nur senkrecht in den Berg hinein, bevor man wieder etwas zu Atem kommt, und sich eine weite Ebene vor den Abenteurer-Augen öffnet. Hier und da mal eine kleine Verschnaufpause, ein wenig scheinen einige das Wandern als eine Art Wettbewerb zu sehen, doch Schnelligkeit ist auch hier keine Tugend – nur, wer ruhig geht, kann auch die Schönheit der Landschaft genießen. Denn eines muss man sagen: Für den Trolltunga gilt mehr noch als für andere Highlights in Norwegen das berühmte Motto: Der Weg ist das Ziel.

Oben angekommen ist man fast ein wenig enttäuscht, denn die Majestätik dieses einzigartigen Ortes wird von den Massen an Besuchern fast vollständig zerstört, und hier stehen sie nun wirklich Schlange, um ein heißbegehrtes Foto auf der Trollzunge zu ergattern, die die Natur in hunderten Metern Höhe dem Tyssevatnet-See tief unten herausstreckt. Albernes Gepose, Teenager in knappen Shorts gefährlich nah am Abgrund und zahllose Menschen, die nur den Hinterkopf des Wartenden vor ihnen sehen, statt den sprichwörtlich unfassbaren Ausblick zu genießen. Der Abstieg ist es dann, der den schon müden Wanderer-Beinen noch einmal alles abverlangt, bevor man müde und insgesamt hochzufrieden zurück in den Van taumelt und sich zum Hotel Stalheim chauffieren lässt, der nächsten Destination für nur eine Nacht.

Das Hotel, dass im Laufe seiner bewegten Geschichte bereits drei mal abgebrannt ist, blickt über den atemberaubenden Nærøyfjord, der völlig zurecht den Status eines UNESCO-Weltnaturerbes besitzt. Das Haus selbst punktet mit zum Teil fast mittelalterlich anmutendem Prunk und seiner Lage, denn zahlreiche spektakuläre Wanderstrecken starten direkt vor dem Etablissement. Am Weg wachsen Johannisbeeren und wilde Himbeeren, und so macht die seichte Wanderung zum Abschluss dann auch besonders Spaß, zumal der Blick ins tiefe Tal mit seinen Wasserfälle das Herz wieder einmal leichter macht. Der Tag rast unter der fleißigen Spätsommersonne nur so dahin, und schon geht es weiter Richtung Voss, der selbsternannten Extremsport-Hauptstadt Norwegens. Ob Paragliding, Fallschirmspringen, Mountainbiken oder Fliegen in einem alten Windkanal, in Voss rauscht das Adrenalin abenteuerlustigen Besuchern nur so durch den Körper.

Wir dagegen lassen es ruhig angehen und steigen im Fleischer’s Hotel ab, einem gigantischen, 150 Jahre alten Komplex direkt an einem weiteren der unzähligen norwegischen Seen. Auch dieses Gebäude ist schon einmal abgebrannt, und diese Geschichte ist bis heute Stof für eine romantische Geistergeschichte: So soll die Frau des Hotelbesitzers ohne dessen Wissen das Hotel versichert haben – und als das Feuer es dann zerstörte, rettete dieser Schachzug den Eheleuten die Existenz und sicherte einen Neuanfang, der den Grundstein für eine bis heute bestehende Dynastie legte. Nicht wenige Gäste behaupten, in Zimmer 407 gehe immer noch der Geist der Hotelbesitzerin um und decke Menschen des Nachts zu – ein guter Geist also, und in eben jenem Zimmer hatte die berühmte Frau damals ihr Büro.

Die Reise endet in Bergen mit einer Fahrt auf den Fløyen, einen der insgesamt sieben Hausberge der Stadt. Auch hier kann man wandern und bei Bedarf auch wunderbar campen, wie uns unser Guide Daniel versichert. Der Ausblick über Bergen und das sie umgebende Wasser ist noch einmal beeindruckend, ein perfekter Postkarten-Abschiedsgruß auf einer Reise, die garantiert unvergesslich bleiben wird.

Die Reise wurde unterstützt von Visit Norway und dem Tourismusbüro für Fjordnorwegen (www.fjordnorway.com)

http://www.fjordnorway.com

http://www.visitnorway.com