Regionalität neu interpretiert: 
Holycrab bringt invasive Delikatessen auf die Speisekarte

Berlin ist eine Stadt der kulinarischen Abenteuer, inspiriert aus der ganzen Welt. Aber dem Zeitgeist entsprechend verschiebt sich der Schwerpunkt gerade in der gehobenen und Spitzengastronomie immer mehr auf regionale Produkte und andere Aspekte der Nachhaltigkeit. 

Immer mehr Küchenchefs denken darüber nach, wie sie Abfall vermeiden und ihre Ökobilanz allgemein verbessern können – moderne Kochtechniken wie das Sous-vide-Garen mit einer Lawine von Plastikbeuteln geraten in Erklärungsnot, Zutaten aus anderen Kontinenten gelten generell als bedenklich, auch wenn sie nicht immer automatisch die schlechtere Lösung sein müssen. Und viele vor allem junge Köche sehen ihre Arbeit auch als Teil eines ethischen Gesamtkonzepts, das sie zu vegetarischen und veganen Speisen führt, und in dem auch die Beschäftigung von Flüchtlingen thematisiert wird. Nicht immer ist das Ergebnis solcher Überlegungen auch für den schlichten Esser überzeugend, denn speziell im Winter gibt die Region Berlin-Brandenburg bekanntlich wenig her für verwöhnte Esser. Der mit 5000 Euro dotierte Preis für kulinarische Innovation, den die Gasag in diesem Jahr erstmals gestiftet hat, bewegt sich in diesem Spannungsfeld: Neuerungen sollen von der aktuellen Umwelt- und Klimadebatte getragen sein, aber auch geschmackliche Qualitäten bieten, die nicht an Entbehrung und Verzicht denken lassen. 

Die Auswahl, aus der die Jury ihren Gewinner auszuwählen hatte, war erwartungsgemäß groß, zumal es ja keineswegs nur um Köche und Restaurants gehen sollte, sondern um das ganze Spektrum der Projekte und Ideen drum herum. Ein großes Thema ist der Anbau von Kräutern und Gemüsen, die in der Region nicht heimisch sind und deshalb in öko-optimierten Treibhäusern heranwachsen, was inzwischen prinzipiell in jedem Restaurant oder Supermarkt möglich ist – neuerdings auch mit mehr Platzbedarf nach dem Aquaponik-Konzept mit Fischzucht in einem Kreislaufsystem. „Zero Waste“ ist das Stichwort für komplette Abfallvermeidung einschließlich moderner Kompostierungsgeräte, die in Berlin ebenfalls heiß diskutiert wird. 

Als besonders beispielhaft erschien der Jury letztlich die Idee, eher lästige Bewohner der Stadt systematisch auf den Speisezettel zu bringen: „Holycrab“ verarbeitet die massenhaft aufgetauchten Tiergartenkrebse zu schmackhaften Gerichten, die vor allem per Food-Truck vermarktet werden. Mehr ist denkbar: Werden die Nutrias aus brandenburgischen Gewässern von hungrigen Gästen akzeptiert? Wie schmecken die Nilgänse, die in Frankfurt/M eine Plage sind? Und welche eingeschleppten Pflanzen haben kulinarisches Potenzial? Die Jury unterstützt diese wirklich nachhaltige Idee mit ihrem Preis für „Holycrab“. 

https://www.gasag.de/unternehmen/nachhaltigkeit/berlinpartner/kultur/eat-berlin-2019

Autor: Bernd Matthies

Photo: Kulinarischer Newcomer Holycrab!GASAG v.l._Rainer Knauber_Lukas Bosch_Andreas Michelus_Bernhard Moser@eat! berlin@eat!berlin