Bangkok ist im Wandel

Text: Jens Hoffmann

Wer das wahre Stadtleben kennenlernen will, muss in die Vororte fahren.

Still sind die Straßen und Gassen von Nang Loeng, eine halbe Stunde entfernt von Bangkok City vom Lumpini Park, Sukhumvit und Silom.

Es ist eine völlig andere Welt. Die Attraktionen von Nang Loeng bewahren jenes alte Thailand das viele Menschen vermissen.

Queen Sirikit, die Ehefrau des 2016 verstorbenen König Bhumipol  war schon hier.

Der Lebensmittelmarkt ist immer voller Einheimischer, hier findet man Mangos, frische Papaya, Kokosnüsse und kann die unzähligen Variationen der thailändische Küche genießen.

Im Inneren der zu den Gassen offenen Wohnungen flimmern Seifenopern und man erinnert sich überall daran als im Woodenhouse gegenüber ein Kino war. 

Inzwischen steht das Lichtspieltheater leer, nur ein Werbeschild erinnert noch an die einstige Glanzzeit. Freilich ist sogar das ein Zeichen des Bewahrens und eher untypisch für Bangkok, dessen ungebremstes architektonisches Wuchern immer weniger Platz lässt für die wirklich urbanen Reize.

Wie aber lassen sich solche Gassen, Wohnungen und Biografien jenseits des Großstadttrubels aufspüren, da man im Viertel Nang Loeng doch keinerlei Wunsch verspürt, als angebliche Geheimtippkulisse für Massentouristen herhalten zu müssen?

Keine konkrete Antwort, aber die Präsentation des Alltags liegt in den Händen der Thai-Frauen. Sie sind zuvorkommend, aber tough und haben unsere Augen überall, anstatt wie die Jüngeren nur auf die Telefone  zu starren. Man arbeitet mit Agenturen zusammen, die sich auf die Wunder der Peripherie spezialisiert hat und nur so viele Gäste herbeiführt, dass sich alle noch wohlfühlen.

Zu alten Zeiten dauerten die Tanzgesänge der Frauen mehrere Stunden; heute sind es, flankiert von kurzen Teepausen, höchstens 30 Minuten, die gleichwohl verzaubern und eine schon halb vergessene Tradition wieder aufleben lassen.

Ein weiteres Kontrastprogramm zur Welt der Shoppingmalls findet sich dann auch auf dem Hua-Takhe-Markt, eine knappe Fahrstunde östlich von Bangkok. Die über 100-jährigen Holzhäuser am Ufer eines Kanals sind durch eine Galerie verbunden, entlang derer sich flanieren lässt in der Regenzeit, wenn Wassermassen auf die Wellblechdächer klatscen und über efeubewachsene Rohre in den breiten Wasserrosenkanal strömen, während Deckenventilatoren beruhigend surren.

Und was für ein Fest für die Augen, angesichts all der wandhohen Regale in den altertümlichen Läden, voller Schächtelchen und bunt verpackter Lebensmittel.

Beim Barbier dagegen goldgerahmte Königsbilder zwischen grünfleckigen Spiegeln, während die Haare auf dem Boden unterhalb der mit blitzenden Scheren und Rasiermessern belegten Konsolen beweisen, dass dies kein Stillleben ist, sondern ein richtiges Geschäft.

Man lehrt den Kindern des Viertels die Fertigung von Papierdrachen, die sie danach über der Kanalbrücke steigen lassen und lachen, wenn sie wieder zu Boden fallen. Es ist pure Freude an wiederentdeckter Tradition, die mehr bietet als virtuelle Games.

Einen schönen Kontrast bieten auch die kleinen Styroporreisschälchen, die als Lunchpakete auf den defekten 50er-Jahre-Jukeboxes stehen.

In den hohen Räumen der hiesigen Kunsthochschule, die seit über sechs Jahrzehnten Maler und Lithografen ausbildet, wird mit Lineal und Pinsel gewerkelt, Seidenpapier abgezogen und Acryl und Blattgoldfarbe aufgetragen.

Die zum Verkauf stehenden Bilder mit ihren fein ziselierten und mythologisch anspielungsreichen Linien verlieren jeden Ruch von Folklorekitsch, wenn die jungen Absolventen mit ansteckender Freude ihre Werke präsentieren und dabei nach draußen zeigen, wo die Regenfäden über dem Kanal von hereinbrechendem Sonnenlicht illuminiert werden – die Wirklichkeit imitiert die Kunst.

 Die Pflege kultureller Bräuche, die sich in feinen Nuancen von denen der ethnischen Thai unterscheiden, lockt Besucher auch in diesen Teil der Peripherie, der noch ländlich geprägt ist.Und auch hier gilt: Nur keine Massen und kein lärmiges Gedränge, schon gar nicht jetzt um die Mittagszeit, wenn im 1877 erbauten Tempel die versammelte Nachbarschaft den buddhistischen Mönchen kleine Essensgaben bringt.

Die orange gewandeten Mönche nehmen die Gaben an und revanchieren sich mit sanft rhythmischen Bittgebeten für die verstorbenen Familienmitglieder der herbeigekommenen Dörfler. Ein beruhigender Singsang, in dessen Sound sich Tante Poo wiegt, ehe sie das Signal zum Aufbruch gibt und wir unter blitzendem Deckengold auf spiegelblankem Boden zum Ausgang gleiten.

Im Dorf Bang Kradi erleben wir dann etwas Ähnliches wie zuvor auf dem Markt am Kanal – nämlich ein Alltagsleben, das sich seiner Attraktionen mit geradezu ostentativer Ruhe bewusst ist und auf falsches Spektakel verzichtet. 

Zeichen der Anerkennung für das aktive Bewahren von Traditionen, die sogar das Kulinarische betreffen: Wer am Ufer des nahe gelegenen Flusses unter einem handgeknüpften Palmendach Frischfisch mit Okraschoten und Chilispinat probiert, macht mit Sicherheit Erfahrungen, die viele Thai-Restaurants in der Hauptstadt nicht bieten können. 

Sawasdee, ich mag den Hauch dieser untergegangen geglaubten Welt